Sunday, September 17, 2006

Gestern: Lehrerkonzert auf dem Lande

Die Lehrer spielen, Schüler und Eltern lauschen. Der rauschende Fluß des Adrenalins sowie die miese Akustik reißen allen musikalischen Geist mit sich ins uferlose Meer gähnender Langeweile. Pianolehrer S. demonstriert in eindringlicher Weise die korrekte Einstellung der Bank zur erfolgreichen Ausbildung eines perfekten Klavierbuckels. Geiger P. kann schwer verbergen, dass er sich mit einem Caipirinha in der Hand wesentlich kommoder
fühlt als mit einem Piazzolla auf dem Notenpultund beweist später seine wahre Berufung zum
Barmixer, verneint aber die Frage, ob das Schütteln des Silberbechers ein kontrolliertes Vibrato fördere. Die Harfe lallt Endlosschleifen akustischer Tapeten für Esoterikläden. Die Querflöte spielt sehr lange. Die Begleitgitarre deshalb auch. Die Gesanglehrerin kommt als verruchte Chansonette,ordentlich mit Requisite: rote Federboa zu Fuchtelzwecken. Beim letzten Act vor der Pause- wird das Licht gedimmt, sakrale Minuten verstreichen, in denen sich die Energien Goulds, Horowitzens, Michelangelis spürbar über der Bühne zusammenballen, und den angemessenen Boden bereiten für die russische Starpianistin, jung, grazil,dunkel, geheimnisvoll, schön, im schwarzen Abendkleid mit kraftvollem Gang auf hohen Hacken,augenabschirmenderweise noch eine kleine Nuancierung des Lichtes erbittend, ihren Moment eröffnend mit einem sehr sachlich gehaltenen Mozart, dann sich in Chopin einperlend, eigenartig basslos, als wäre er vierhändig gesetzt, und sie spielt nur die rechte Seite....
Später ist das Licht wieder normal, und weiter geht's mit der Lehrkraft für Saxophon, heute im sehr karierten Baumwollhemd-und sehr beuteliger Jeans- wegen dem Jazz, you know - dann kommt nochmal die Harfe auf Keltisch, und dann auch nochmal die Begleitgitarre von vorhin mit was ganz Leisem, ganz Schüchternem. Eine schwere, warme Schicht lãhmender Lethargie legt
sich über alles, was in diesem Saal kreucht und fleucht,der Blickkontakt mit der Wanduhr will nicht recht abreißen, der regenerative Effekt der Pause war geringer als erhofft, die Kinder sindbrav oder eingeschlafen. Dann endlich das ersehnte Finale, alles reißt sich nochmalzusammen...aber was ist das plötzlich? Der Cellolehrer, lang dünn, charismatisch, setzt sich mit eckigen Bewegungen auf seinem Stuhl zurecht, hält eine kurze Ansprache in gebrochenem Deutsch, plaziert sein orientalisches, hochspezialisiertes Kind an den Flügel und lässt das Cello losbrettern. Und obwohl das Licht ganz normal ist: Wirbelsãulen strecken sich, Köpfe schrauben sich zehn cm höher, die vorherigen zwei Stunden sind gelöscht, deleted, vergessen, jetzt beginnt das Konzert, glänzende Gesichter drehen sich breit grinsend einander zu, ein Musik-Tsunami flutet die Halle, kurzfristig gestaut von prasselndem fusstrampelndem- und stimmrufenden Applaus
und noch ein Stück und noch eines...und später fragt sich alles, welche verschlungenen Schicksalswege diese beiden Irrlichter mit ihrem exotisch anmutenden dreisprachigen Bodentrupp hierher projiziert haben, an diesen kontemplativen Ort in der Tiefe der Provinz,
wo die Holstein Frisa der Belgischen Landrasse Gute Nacht sagt und
wo gleißendes Scheinwerferlicht normalerweise nur von den Treckern in der Erntezeit
auf nãchtlichem Acker produziert wird.
Die russische Starpianistin: not amused at all. Wieder in Zivil, mit grollend vorgestrecktem Kinn und in den Nacken geworfenen Kopf, mit angespanntem Kreuz, entgegen der ursprünglichen Planung nun doch nicht Top Act der After-Show-Party, ignoriert ihren Kollegen aggressiv und total, sticht mit noch kraftvollerem Gang blick. und grußlos direkt an ihm vorbei und geht als Nobody an der Cocktailbar unter.
Der Cellist jedoch feiert noch lange im Kreise seiner Bewunderer, packt dann seine illustre Entourage in sein ungewöhnliches Auto, und spielt in aller Ruhe zuhause noch eine schöne Partie Whist.

1 Comments:

Blogger Unknown said...

Ja, er bloggt auch, und hat das Ganze aus seiner Sicht sehr lustig beschrieben.
http://shamban.blogspot.com

Und www.david-shamban.com

Ach Mensch, und bei youtube, wenn du David Shamban eingibst! In bewährter youtube-qualität ;))

1:36 PM  

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